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Vor Jahren hat er in seinem Rechenschaftsbericht als Gefängnispfarrer der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien einen Schlußstrich gezogen: „Mit der Großschriftstellerei ist es vorbei.“ Der am 13.9. 1933 in Arad geborene und in Fogarasch aufgewachsene Eginald Norbert Felix Schlattner ist inkonsequent geblieben. 2009 beteiligt er sich mit einer Erzählung an einem kulturgeschichtlichen Band. 1) 2012 gab die Berliner Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick in zwei Bänden lange Zeit verschollene Manuskripte Schlattners heraus, die größtenteils vor seiner Verhaftung 1957 entstanden waren.2) Zu Pfingsten 2013 teilte der in Rothberg/Rosia bei Hermannstadt/Sibiu lebende Romancier mit, er habe seinem Verlag Zsolnay in Wien erfolglos 20 Kapitel auf 699 Schreibmaschinenseiten angeboten. Eine 2012/13 auf 642 Seiten gekürzte Fassung heißt nun: “ Die 7 Sommer meiner Mutter. Ersonnene Chronik“ . Dabei handelt es sich nach meiner Lektüre von drei Kapiteln um eine Art „Maximen und Reflexionen“, die Hintergründe seines Lebens und Schreibens erhellen sollen. Was für eine Kraft zur literarischen Vergegenwärtigung! Zum Glück für seine europäische Leserschaft hat Schlattner also seine Absage an die „Großschriftstellerei“ gebrochen, und hoffentlich ergreift ein Verlag die Gelegenheit, die Siebenbürgen-Saga aus Rothberg weiterzuentwickeln. Denn es ist so viel geschehen, was einer Transparenz bedarf, seitdem dieser literarische Komet unerwartet am europäischen Firmament der Dichtung erschien, ein Dorfpfarrer aus einer ethnischen Minderheit in Südosteuropa, der als Rentner seinen ersten Roman vorlegte, dem zwei weitere folgten („Der geköpfte Hahn“ 1998 , „Rote Handschuhe“ 2000, „Das Klavier im Nebel“ 2005). Vieles ist also geschehen:
Er selbst reiste zu Lesungen durch ganz Europa. Daneben bringt der literarische Tourismus heute Busse und PKW aus Deutschland und Österreich in das Dorf, das gar nicht so abgelegen ist, jedenfalls nicht wenn man es endlich erreicht hat und es womöglich nicht bei dem einen Mal bewenden läßt. Seine Romane wurden bislang in sieben Sprachen übersetzt. Das erstes Buch erreichte elf Auflagen und wurde 2006/07 verfilmt 3), „Rote Handschuhe“ 2009/10. Er hätte auch mit Herta Müller gemeinsam den Nobelpreis bekommen können. Aber die Verhältnisse waren nicht so. Valentin Aldea jedenfalls, der clevere rumänische Bürgermeister, hat dem bekanntesten Einwohner auf dem Internetportal der Primaria Communei Rosia eine ganze Seite gewidmet, und die Ortsschilder von ehemals siebenbürgisch-sächsisch dominierten Dörfern dieser Kommune sollen auf Weisung von Primar Aldea zweisprachig sein, wurde mir einmal von einem Kenner der Gegend erzählt. In Rothberg/Rosia jedenfalls hat mir das mein Augenschein bestätigt. Und das bei nicht mehr ganz einer Handvoll siebenbürgischer Sachsen. In einem Kapitel der genannten noch ungedruckten „Ersonnenen Chronik“ berichtet Schlattner auch, daß seine Frau und er sich 2007 getrennt haben. Dabei spiele keine dritte Person eine Rolle, wohl aber die Belastung der Jahrzehnte im Einvernehmen. Schon 1967/68 hatte er kenntnisreich von Kommunikationsproblemen in einer Pfarrehe erzählt – weniger fiktiv als intuitiv.4) Jedenfalls lebt er allein auf seiner Pfarre nahe der Kirche von 1225 – „älter als Berlin!“ – und verbringt kirchliche Hochfeste gelegentlich in einem orthodoxen Kloster. Die andere Seite der biografischen Medaille gehört der Häftlingsseelsorge. „Die Begegnungen mit den Schutzbefohlenen im Gefängnis sind der Ort, wo ich aus der Zeit falle und verspüre, wie dann doch Gott und wie Gott gegenwärtig ist.“
Außerdem hat sich im Laufe der Jahre einiges geklärt, was den Vorwurf betrifft, im Schriftstellerprozeß von 1959 mit der Securitate gegen befreundete Angeklagte zusammen- gearbeitet zu haben. Sorgfältige Analysen der Prozeßakten haben u.a. gezeigt, daß nicht nur der Rothberger sich z.B sprachlich in die damalige Ideologie hineinbegeben hat, sondern auch andere haben sich vor dem Staatsanwalt als ordentliche Staatsbürger geriert, um ihre Haut zu retten.5) Wie denn auch anders! Noch 2011 wurden die Folterungen Schlattners gegenüber denjenigen des verurteilten Schriftstellers Hans Bergel als „einfach läppisch“ zitiert und reduziert. 6) In einem Offenen Brief hat sich der alte Mann nach all den Verunglimpfungen schließlich öffentlich gewehrt und die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. 7) Er hat auch seine Technik offenbart, mit der er die Familie gegen Kontakte mit der Securitate immunisiert hat. „Man kann alle Dossiers der rumänischen Gauck-Behörde öffnen. Von uns, von mir liegt nichts über andere vor.“ 8)
Gegen die hysterische Massenflucht seiner Landsleute in den Westen findet er deftige Worte: „Wenn einer sagt: ‚Gott wollte, daß ich nach Deutschland auswandere und mein alter Vater bleibt hier, die Rumänen füttern ihn und die Zigeuner wischen ihm den Arsch ab, und, bitte, lieber Herr Pfarrer,sehen Sie doch ab und zu nach ihm,‘ dann weiß ich: Das ist nicht, was Gott wollte.“ 9) Robinson Jeffers: „Freiheit? Freiheit war ein Feuer./Wir haben uns davon befreit, wir fanden Wohlstand.“ 10) An den Rumänen hat er immer mehr ihre Nachbarschaftshilfe auch für ihn zu würdigen gelernt. Auf die Frage, was er an den Roma schätze, antwortet er: „Ihre Lebensfreude und ihr Gottvertrauen.“11) Den Häftlingen in den von ihm aufzusuchenden Gefängnissen fühlt er sich nahe durch die eigene Biografie.
Seine Treue zur siebenbürgisch-sächsischen Ethnie überwiegt noch seine scharfe Kritik an ihrer inneren Unbeweglichkeit und an ihrer zerstörerischen Mobilität 1989/90. Bei aller Distanz steht er zu seiner Herkunft.
Was bringt das neue Lebensjahrzehnt? Schlattner wird sich wahrscheinlich auch am 13.September wie immer und täglich zum Gebet in seine Kirche begeben, vielleicht am Altar einen Zettel mit ungelenken Buchstaben finden: „Laßt uns beten für Petru. Krank.“ Er wird das tun. Vielleicht ist er aber auch vor dem eigenen Jubelfest in ein rumänisch-orthodoxes Kloster geflohen. Das Kirchengebäude hat er bereits vor Jahren im Advent nach einer inneren Befreiung mit einer öffentlichen Geste des Segens an die neuen Bewohner und alten Sorgenkinder übergeben, an die Waldorfschule „Hans Spalinger“ und die sie besuchenden Kinder der dunklen Geschwister unten vom Bach. Das konnte kein kirchenrechtlicher Akt sein; denn er ist seit Jahren als Ortspfarrer pensioniert und hat Befugnis allein noch für die Gefängnisseelsorge. Diese Übergabe vom Herzen her bedeutet, daß er, der barocke Typ, ein hart geprüfter stolzer Sachse, die kulturelle Transformation verstanden hat und bejaht. Gott ist größer als unsere Vorstellungen, so daß die Rothberger Kirche erlebt, wie die Geburt Jesu im Krippenspiel in der Sprache der Mehrheit von der gebeutelten ziganen Ethnie veranschaulicht wird. Der Mann des Wortes hört im fremden, gleichwohl vertrauten Laut die eigene Sehnsucht und Hoffnung und erwirbt so Bürgerrecht im Zukunftsland.
Was soll denn noch mehr passieren im neuen Lebenjahrzehnt! Es ist Endzeit für die Sachsen in Rothberg. Dazu gehört nach menschlichem Ermessen kein Paradies wie sonst so oft in Mythologien. Aber es kann auch kein Schlußstrich gezogen werden. Es gibt ja neue Kräfte im Dorf wie die Schweizer Direktorin Annette Wiecken mit ihrer integrativen Schule als Sozialprojekt und den Bürgermeister mit seiner Wertschätzung für den rumäniendeutschen Romancier. Für alle gibt es reichlich zu tun. Nach den großen Verlusten mag Schlattner die sachten Schritte der leibhaftigen Hoffnung spüren und ebnet ihnen den Weg, den er selber mitgehen will, so weit ihn die Füße in seinem Alter tragen.
Dr. theol. habil. Jens Langer,
Pastor emeritus der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Norddeutschlands im Sprengel Mecklenburg
(Korrigierte Fassung vom 21.9.2013)
ANMERKUNGEN:
1) E. Schlattner, Die schiefe Fassade der Kindheit. Erfundene Familienkunde, in: Gerda Ziegler (Hg.), Geschichtliches und Kunstgeschichtliches zu Birthälm, Hermannstadt 2009.
2) E.Schlattner, Odem.Kritische Edition, Hermannstadt/Bonn 2012; ders., Mein Nachbar,der König. Verlassene Geschichten, Hermannstadt/Bonn 2012; meine Rezension dazu: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 2012/1-2.
3) Vgl. Paul Jeute, Der geköpfte Hahn – Die Verfilmung eines Romans oder Das Schicksal der Siebenbürger Sachsen, München 2011.
4) E.Schlattner, Das Apfelbett, in:Mein Nachbar, der König,S. 92-125.
5)Vgl. M. Nowotnick,“95 Jahre Haft“. Kronstädter Schriftstellerprozeß 1959: Darstellungsformen und Deutungsmuster der Aufarbeitung,in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 2012/1-2, S. 173-181; William Totok, Empathie für alle Opfer. Eginald Schlattner, ein Leben in Zeiten diktatorischer Herrschaft, in:ebd., S. 181-198.
6) Markus Fischer, Der Denunziant als Opfer und der Täter als pathologischer Fall. Radu Gabreas Verfilmung des Romans „Rote Handschuhe“ von Eginald Schlattner, in: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ) 27.5. 2011.
7) E. Schlattner, Offener Brief an Hans Bergel, in: ADZ 6.3.2013.
8) Gerda Ziegler, Gespräch mit Eginald Schlattnern, in: Sinn und Form 2010/6, S. 270-280 – Nachtrag:Notiz über das Trauma der Securitate aus dem Tagebuch vom 22.9. 210, S. 780-781, hier S. 781.
9) Nina May, Der Gefängnispfarrer. Eine nachdenkliche Adventsgeschichte über Gut und Böse: http://www.rumaenienadventskalender.de/2010EginaldSchlattner.htm – aufgesucht 17.1.2011, 17.43 Uhr.
10) Robinson Jeffers, Gedichte. Passau 1984, S.115.
11) Nancy Waldmann, „Ich leide darunter, daß ich nicht verzeihen kann.“ Autor Schlattner im Interview: http//www.reporterreisen.com/ zehn-tage-siebenbuergen/reportagen/… – aufgesucht11.10.2012, 11.05 Uhr.
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