Bucharest revisited (III)

Im Frühjahr schrieb ich nach meinem ersten Aufenthalt in den Diplomatischen Archiven:

„Das Diplomatische Archiv gehört zum Aussenministerium und befindet sich im Palatul Victoria/ Victoriapalast. Dort hoffe ich Material zu den Friedensverhandlungen mit Deutschland 1918 zu finden. Mein Antrag auf Nutzung wird nach weniger als 24 Stunden beantwortet. Da ich kein rumänischer Staatsbürger bin, muss ich mich direkt an die Öffentlichkeitsabteilung des Ministeriums wenden – Rumänen stellen den Antrag ans Archiv selbst. Die gesetzlich vorgesehene Bearbeitungszeit, so wird mir mitgeteilt, beläuft sich auf bis zu 30 Tage. Daran ist nichts zu ändern. Ich komme in einem Monat wieder.

Die online erfassten Bestände scheinen besser strukturiert zu sein als im Nationalarchiv. Aber dies ist nur ein erster Eindruck.“

Die weiteren Eindrücke bin ich an dieser Stelle noch schuldig geblieben. Das soll jetzt nachgeholt werden.

Die Genehmigung vom Außenministerium bekam ich nach über einem Monat per Email – aber mit „fristgerechtem“ Datum im Stempel. Geschenkt. Zweimal war ich dann zu Recherchen vor Ort. Ende April, als der Regierung Ungureanu im Parlament das Vertrauen entzogen worden war. Das Wachpersonal schickte mich von Eingang B zu Eingang C und wieder zurück, nur um mich schließlich noch einmal den Weg außerhalb der Absperrung laufen zulassen und mich am Ende dort hereinzulassen, wo ich angekommen war. Ein erster Eindruck von Bekanntheit und Frequentierung der rumänischen Diplomatischen Archive?

Der Sicherheitscheck ließ ein wenig Berliner Atmosphäre aufkommen. Ähnlich wie im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, ganz sicherheits-europäisch. Die Tür erscheint also gesichert, das Herz schlägt ob der zuerwartenden Archiv-Schätze gleich schneller und höher. Das Personal begrüßt freundlich und hält sich zurück, die angefragten Aktenordner liegen bereit.

Diplomatische Archive, Bukarest
Diplomatische Archive, Bukarest

Der Lesesaal… reiht sich in die Reihe der anderen in Bukarest besuchten Archive ein. Nur sein Name lässt Größe vermuten. Der Raum ist klein, vermutlich misst er weniger als 40 qm. Die Decke von Wasserflecken übersät. Das Mobiliar aus Sperrholz, der Platz minimal und Steckdosen nur in einer Ecke verfügbar. Abgesehen davon, dass ein Gutteil der Plätze für Studierende des Diplomatischen Studienganges reserviert ist, ist der Lesesaal – während meiner Aufenthalte – meist leer.

Kopien sind auch nicht so ohne Weiteres möglich. Es bedarf eines weiteren Antrags. Bei meinem zweiten Aufenthalt, knapp einen Monat später, erfahre ich, dass ich das Formular falsch ausgefüllt hätte. Also noch einmal – die Kopien darf ich dieses Mal aber auch gleich selbst machen. Dabei fällt mir ein, dass mir beim ersten Besuch gar ein Original „meines“ Friedensvertrags von 1918 durch die Hände glitt. Ohne Handschuhe. Die Siegel waren bereits brüchig, aber wer weiss, wann und wo ein interessierter Mensch noch das Siegel des Osmanischen Reiches direkt berühren darf kann…

Personell ist das Archiv ebenfalls nur mehr als dünn besetzt. Habe ich richtig verstanden – insgesamt, also vom Lesesaal bis zu den andernorts liegenden Depots, arbeiten nur um die 30 Personen an der Sicherung, Aufbereitung und Zugänglichmachung des diplomatischen Nachlasses Rumäniens? Es scheint so zu sein. Im glorreichen „Siegespalast“ ist die Situation des hier beheimateten Archivs also nicht anders als in den Nationalarchiven und dem Archiv des CSIER.

Sollte sich am Zustand seiner Archive tatsächlich das Verhältnis eines Landes gegenüber der Vergangenheit ablesen lassen? Angesichts des bisweilen barocken Nationalgetöses, der weithin ignoranten Einstellung der Landesoffiziellen zur Shoa in Rumänien und den vor Ort angetroffenen Zuständen muss die Beziehung zum Gestern in Rumänien zumindest als voller Widersprüche verstanden werden. Es ist traurig. Natürlich bin ich immer wieder auf sehr hilfsbereite Menschen gestoßen – aber sie und ihre Hilfe werden niemals ein angemessenes Bewahren des Archivgutes, geschweige denn seine Zugänglichmachung im Sinne offener und kritikbewusster Gesellschaften ermöglichen können.

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