Das Eigene und das Fremde

Beobachtungen zu Andreea Dumitru, Inter- und Multikulturalität in Eginald Schlattners Romantrilogie Versunkene Gesichter, Honterus: Hermannstadt 2017, 179 S. 29,- Lei   9,90  Euro

 

Noch schwärmen Siebenbürger Sachsen von ihrem großartigen Treffen in Hermannstadt Anfang August 2017 (Vgl. B.Ungar, Von Heimat und Apfelbäumchen: HZ 11.8.2017; Siebenbürgen aktuelles Thema  für siebenbürgisch-sächsische Jugend im  Ausland: ADZ-Gespräch mit E.Drottleff (…): ADZ 6.9.2017 ) Werden die Enkel  der Ausgewanderten nach dieser Inspiration mit neuem Schwung mehr und mehr Aufgaben  auch in der süßen Heimat übernehmen und diese auf sächsische Art stärken? Mir ist diese Sicht auf die Zukunft genauso kürzlich freundschaftlich  mitgeteilt worden. Hierbei handelt es sich selbstredend um eine  spontane Äußerung nach einem  aktuellen Ereignis. Andererseits gibt es immer  noch festgefahrene Positionen. Eine solche Haltung wird  beispielsweise von einer kritischen Sächsin zitiert, die den  Kontakt zu  ihrer Herkunftskultur bewußt abgebrochen hat:“Die Sachsen sind alles, die anderen sind minderwertig.“ (S.Pichotta, Schicksale –  Deutsche Zeitzeugen in Rumänien, Schiller:Hermannstadt 2013, S. 111). Seinerzeit ist kein Aufschrei des Für und Wider gegenüber dieser  Einstellung zu hören gewesen, aber ganz  unabhängig von Ethnozentrismus und Event hat Andreea Dumitru 2017 ein Buch vorgelegt, das den Beziehungen, Wechselwirkungen und Ergebnissen im Zusammenleben  der verschiedenen Völker in Rumänien  nachgeht, und zwar anhand von Eginald Schlattners Romantrilogie. Die Autorin enfaltet eingängig und schlüssig, wie  Schlattner die Welt des  Mit-, Neben- und bisweilen auch  Gegeneinander in nuce veranschaulicht. Schlattner weiß, wovon er schreibt; denn er  hat diesen farbenprächtigen grandiosen Mikrokosmos, in dem das siebenbürgische Leben spielt, ausgelebt und durchlitten. So hat er insgesamt ohne Besserwisserei, aber im Mitleiden, Ausharren und Durchstehen  ein spannendes Lehrstück entworfen, aus dem Zukunftswissen geschöpft werden kann.

„Der geköpfte Hahn“ (1998) bildet bewegend (!) das traditionell erstarrte  Nebeneinander der  Ethnien ab, wie freundlich es im einzelnen auch immer sich gestalten mag. „Rote Handschuhe“ (2000) führt aus den siebenbürgischen Ebenen und Höhen in eine „Miniaturgesellschaft“ wie die Autorin sich ausdrückt:“Interkulturelles Treffen in der Zelle  28“ lautet eine Zwischenüberschrift ihres Buches. Hinter Gittern „eine Art Klassenzimmer“, „in dem man durch gezwungene Interaktion interkulturelle  Kontakte knüpft, die  in der Freiheit unmöglich gewesen wären“ (S.127) . Weil sich die Verhafteten   dieser Realität nicht entziehen können, werden Lernprozesse initiiert und aktiviert: „Die Inhaftierten werden mit unterschiedlichen  Kulturen, Sprachen, Konfessionen, Wert- und Normvorstellungen  konfrontiert, die sie dann mit den eigenen vergleichen“. (S. 129) Die wachsende  interkulturelle Kompetenz bewirkt zusehends ebensolche Kommunikation untereinander. „Das Klavier im Nebel“  (2007) veranschaulicht drastisch Deportation und Enteignung des siebenbürgisch-sächsischen Bürgertums, aber  gerade auf diesem  gesellschaftlichen Schicksalsweg eben auch Liebe, hier exemplarisch zwischen Clemens Rescher und der Rumänien Rodica Neagoie, „Kuhmagd, Klavierspielerin und Bibliothekarin“ (S. 86). Dazu tritt auch andere Lebenswelt aus  fremden kulturellen und sozialen Zusammenhängen, wie z.B. am Hirten Bade Timoftei sichtbar wird. Das  junge Paar gewinnt Kenntnisse vom Leben des anderen und entwickelt  dergestalt einen interkulturellen Horizont. Realistisch, nüchtern und  bitter zugleich die Bilanz von  Dumitru: „Der Roman zeigt, dass Lebensformen von historischen Gegebenheiten direkt beeinflußt werden. Der kommunistische Eingriff in das Leben  der Menschen wirkt sich auf alle Bereiche aus und bedeutet im Sinne des interkulturellen Dialogs sogar eine Bereicherung.“ ( S.119) Was die  Literatur- und Kulturforscherin   hier beschreibt, ist mit Schlattners opus magnum  faktisch und zugleich symbolisch ebenfalls geschehen: Die Romane „Der geköpfte Hahn“ und „Das Klavier im Nebel“ wurden 2006/07 bzw. 2009/10 von dem rumänischen  Regisseur  Radu Gabrea verfilmt. (Vgl. G.Calutiu-Sonnenberg, Abschied in Rothberg. Eine Begegnung mit Eginald Schlattner: Deutsches Pfarrerblatt 8/2017).Eine Grenzüberschreitung aus  zwei Kulturhorizonten heraus und eine Bereicherung für  beide Seiten einer  gemeinsamen  Gesellschaft!

Auf einer  weiteren Ebene vollzieht  sich ebenfalls eine sachte Bewegung zur Begegnung und Entdeckung des anderen. Die rumänische Mehrheitsgesellschaft bemerkt das architektonische  Erbe der  sächsischen Gemeinschaft langsam als gesamtkulturelles Anliegen. Das zeigt sich im Interesse  von verschiedenen Verwaltungsebenen am Erhalt der  Kirchenburgen, und eine sächsische Stiftung fördert dieses Interesse, das in  größere Verantwortung von Kommunen und Staat  münden soll (vgl. M. Mundt, Verankerung des sächsischen Kulturerbes  in der rumänischen Gesellschaft hat erst begonnen :ADZ 1.9.2017).

Schlattner selbst hat  bereits einst viele Monate vor seinem 80.Geburtstag einen Akt der inneren Befreiung erlebt und  im damaligen Advent mit einer öffentlichen Geste  des Segens symbolisch das Rothberger Kirchengebäude an die neuen Bewohner und alten Sorgenkinder übergeben, an die Waldorfschule „Hans Spalinger“ und die darin unterrichteten Kinder der dunklen Geschwister unten vom Bach. Der pensionierte Pfarrer konnte  natürlich keinen juristische Übergabe  vollziehen. Es war eine sinnbildliche Übergabe vom Herzen her, die zeigte, daß er die kulturelle Transformation verstanden hat und bejaht. Er kann das Krippenspiel nun in der Sprache der Mehrheit hören, gespielt von der gebeutelten ziganen Ethnie. Die Laute mögen  fremd klingen, ihm sind sie  vertraut und  er kann darin auch die eigene Sehnsucht nach Ewigkeit vernehmen  und erwirbt so  Bürgerrecht im Zukunftsland.

Zu Schlattners 84. Geburtstag am 13.9.  hat dieser Titel von Andreea Dumitru gewiß längst auf dem Gabentisch gelegen. Er zeugt von der kulturellen Kompetenz des 50. evangelischen Pfarrers in Rothberg/Rosia. Was  die Autorin  darin akademisch  analysiert, klingt nie langweilig, sondern zeugt von dieser Kraft des Protagonisten. Nicht zuletzt ist das Buch selbst auch Teil  der  Lebensprozesse, die es beschreibt. Und im Mai 2018 sollen die „Roten Handschuhe“ übrigens auf Russisch im Buchhandel sein! An einer japanischen Übersetzung wird ebenfalls gearbeitet. Aber noch vor diesen Ereignissen rangiert die  Edition von „ Die  sieben  Sommer meiner Mutter. Ersonnene Chronik“ zur Leipziger Buchmesse.  Damit wird  das Schlattnersche Werk abgeschlossen. Der Kampf um das Erscheinen dieses literarischen  Schlußsteins hat  rund  zehn Jahre  transsilvanischen Langmuts gekostet. Insgesamt hat der Dichter nunmehr ein Sprach-Gedächtnis der siebenbürgischen Wunden und Wunder entworfen und ausgebaut auf Zukunft.Alle antragsberechtigten Institutionen und Einzelpersonen (s. Artikel Nobelpreis  bei WIKIPEDIA 5.1 Nominierungsrecht) sollten die Gelegenheit nutzen, für die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Schlattner zu werben,  den er m.E. schon vor Jahren gemeinsam mit Herta Müller hätte bekommen sollen. Angesichts eines  84. Geburtstages ist die Frist für ein solches Engagement nicht  grenzenlos.So oder so, Rothberg/Rosia, der mons rubens, strahlt  weiterhin Faszination für eine wahrhaft europäische Literatur aus.

Die Erfüllung des angesprochenen Anliegens von der Sache, der Person und dem Herzen her steht allerdings in den Sternen. Es hat sich nämlich seit  Jahrzehnten eine  einflußreiche Schar von  Neinsagern und Verhinderern etabliert, die auf die Isolation des Autors hinwirken. Schlattner ist auch ohne sie und trotz ihrer zu einem europäischen Schriftsteller geworden Wenn sich nun die  dünne Stimme  unseres  langlebigen nachhaltigen Nischenmagazins mit der vox humana eines aus  hiesiger Perspektive in einem  abgelegnen Winkel Südosteuropas lebenden poeta transsilvvanus verbindet, soll damit wenigstens auf die Berechtigung, Notwendigkeit und Dringlichkeit der Anerkennung eines Lebenswerkes hingewiesen werden. Das immerhin kann hiermit geschehen.

 

Anmerkungen:

  • Siebenbürger Sachsen: Deutsche Bewohner Siebenbürgens/Transsilvaniens
  • HZ: Hermannstädter Zeitung – rumäniendeutsches Wochenblatt
  • ADZ: Allgemeine Deutsche Zeitung – rumäniendeutsche  Tageszeitung aus Bukarest

 

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