Land, das ferne leuchtet

„Tagträumer in einem verborgenen Land. Fotografien aus Rumänien“ in Rostock

Der Verein migra in Rostock ist die Anlaufstelle für alle, die sich als Zugewanderte darum mühen,heimisch zu werden in der neuen Gesellschaft, die Mehrheitssprache zu lernen, Arbeit zu finden, nach und nach ein Zuhause zu haben (so gut es geht). Besucht man das Vereinszentrum mitten in einer beliebten Wohngegend für Mittelstand und Studierende, trifft man alsbald Menschen aus anderen Ländern, die einschlägige Beratung wünschen.Ins Auge sticht ebenso das vielsprachige Informationsmaterial zur gelingenden Integration. In diesem Vereinszentrum findet sich auch die „Kleine interkulturelle Galerie“. Hier hat Fernande Stein (Jahrgang 1991) ihre erste Einzelausstellung nach etlichen Gemeinschaftsunternehmungen platziert: Gut zwei Dutzend Farbfotos sind noch bis Ende April zu sehen. Dazu gibt es einen wunderschönen Katalog. Die Lehramtsstudentin ( Kunst, Germanistik,Pädagogik) aus dem binnendeutschen Sachsenlande nennt ihre Schau: Tagträumer in einem verborgenen Land. Fotografien aus Rumänien. Wo träumen rumänische Staatsbürger was? Sie zeigen sich in weiter Graslandschaft, wurden fotografiert am Kiosk und auf dem Flohmarkt, obdachlos in Bukarester Stadtszene, vorm Hoftor im Gespräch zwischen Alt und Jung; festgehalten sind natürlich auch Hirten mit Einzelkuh oder Schafherde. Wir schauen auf ein Land, das die Sehnsucht nach Stille und Entschleunigung beflügelt, einfach liebenswert. Fernande Stein hat Rumänien mehrfach besucht, bevor sie 2015/16 in Klausenburg ein Studium absolvierte.Zu der gut besuchten Vernissage kamen übrigens u.a. neben Politprominenz und dem Frauenklub der Jüdischen Gemeinde auch zwei rumänische Migrantinnen, die sich freuten, mit der Künstlerin in ihrer Muttersprache reden zu können.

Fernande Stein bringt ein fernes Land bilderreich in die norddeutsche Tiefebene. Ist es tatsächlich verborgen, wie der Titel suggeriert? Sind es allesamt Tagträume, die dort gelebt werden? Vielleicht animiert die Fotografin Menschen von hier zu einer Fahrt nach Rumänien. Dabei öffnet sich das Verborgene nicht bei einem ersten Trip. Nach meinen Erfahrungen können sich bei einem Erstkontakt Urteile sogar verfestigen. Beileibe nicht immer, und dabei muß es auch nicht bleiben. Etliche werden mit dem rumänischen und speziell siebenbürgischen Virus infiziert und kommen mehrfach wieder: Sie stehen z.B. auf der Hermannstädter Lügenbrücke und erfahren immer neue Wahrheiten aus dem Lande Eminescus und Brancusis, H.Müllers, Wittstocks und Schlattners. Wenn Besucher und Besucherin im Laufe der Jahre ihre Beziehungen im Lande persönlich vertiefen, lernen sie womöglich Menschen wie das Rentnerehepaar B. aus A. kennen, die 2015 mit Zehntausenden Neuwahlen gegen eine korrupte Regierung erstritten und Anfang Februar gemeinsam mit ihrem Präsidenten Klaus Johannis auf den Straßen des Landes ein Regierungsdekret zum Schutz ebendieser Staatskorruption stürzten. Es gibt „keinen anderen Weg, als mit dem Wort und auf der Straße dagegen zu protestieren“, erklärte jüngst Reinhart Guib, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. In vierzehn (!) Jahren Kampf für den Bestand von Natur und Kultur in der Region Rosia Montana erreichten die vielen besorgten Tagträumer aus allen Ethnien, daß eine mächtige Goldbergwerksgesellschaft ihre Pläne zur Ausbeutung und Zerstörung der Region nicht durchsetzen konnte. 14 Jahre Tagträume! Menschen wie diese beiden gehören zu der Lokalen Aktionsgruppe (GAL), die mit etlichen Dörfern die Mikroregion Harbachtal gebildet hat. Da geht es um bessere Information und Kooperation, also um effiziente Regionalisierung gegen den überbürokratisierten Zentralismus. Just gerade haben rumäniendeutsche Medien gemeldet, daß nun auch eine Mikroregion des Fogarascher Landes organisiert werden soll – diesmal auf Initiative von regionalen Politfunktionären. Kann auch gut gehen.

Verborgenes bleibt immer noch genug für Entdeckungen bei einem nächsten Mal ebensowie sich Muße, Meditation und Verschiebung auf „morgen“ (maine) tatsächlich ergeben – und zwar meistens auch völlig überraschend, aber oft trotzalledem noch auszuhalten. Was für ein Füllkorb an Bildern und Anschauung, die uns Fernande Stein noch bescheren wird! Dazu gehören eben auch soziale Aktivitäten, die Gemächlichkeit aufbrechen und gelegentlich durchaus Streß bis Hektik durchschlagen lassen. Das erfahren alle, die deslängeren im Lande verweilen. In Deutschland läßt sich das Triumvirat Entschleunigung – Verborgenheit – Aktion sogar nachlesen in den Notaten der Dorfschreiber von Katzendorf, Jürgen Israel und Elmar Schenkel. (Vgl. auch auf www.cotaru.com: „Holzmengen rockt und lockt. Ermutigende und erfrischende Aktivitäten im Dorf bei Hermannstadt.“) Zuerst aber sollen sich noch viel mehr Menschen die faszinierende Fotowelt von Fernande Stein anschauen. Hoffentlich holt sie ein weitsichtiger Mensch ab Mai in unsere zentrale Citykirche mit ihren bewährten Ausstellungsmöglichkeiten und großen Touristenströmen! In Hermannstadt wüßte ich ebenfalls ausgezeichnete Örtlichkeiten für „Tagträumer in einem verborgenen Land“. Dorthin nämlich gehören diese Fotos selbstredend ebenso.

Jens Langer, Rostock

Hinweis für die Presse: Frau Fernande Stein hat für Redaktionen einige ihrer Fotos zur Verfügung gestellt. Der Verfasser mailt sie gern weiter.

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