Neulich fuhr ich vom Dorf in die Stadt. Eine Mutter mit Kindern trampte an der Kreuzung, ich nahm sie mit. Sie sei zum Betteln unterwegs, was sie aber gern ließe, wenn sie anders das nötige Geld verdienen könne. „Betteln bringt ja nichts“, meinte sie. Sechs Kinder habe sie, die nicht 30jährige. Von Verhütung wolle ihr Mann nichts wissen, die Pille sei für sie zu teuer. Von meinem Dorf ist es übrigens nicht weit zu einem Ort, wo Menschen in dritter Generation ohne Dokumente leben: keine Geburtsurkunde, keine ID. So kommen sie nicht einmal in den Genuss der welken Früchte rumänischer Sozialgesetzgebung…
Über die Menschenrechtslage rumänischer Roma zu schreiben, ist schwer und banal zugleich. Fakt ist: Roma werden anhaltend aus allen Mehrheitsgesellschaften ausgegrenzt, in denen sie leben. Erklärungsversuche dazu verlieren sich schnell in einem Gewirr von sozialen und kulturellen Deutungsansätzen. „Wie geht es denn den Roma?“ fragten mich einmal BesucherInnen aus Deutschland. „Gehen wir hin und fragen“, antwortete ich – und wir blieben sitzen. So ist es meist: Es wird über ‚die Roma’ geredet. Wichtiger zu wissen wäre dabei eins: Wer ist gemeint, wenn ‚Weiße’ über ‚Roma’ sprechen? Denn ‚die Roma’ gibt es nicht – wir reden sie uns zurecht. Es gibt sicher eine ethnische Gruppe, aber diese wird um soziale Stereotype erweitert.
Wenn von Roma (oder Zigeunern) die Rede ist, geht es nämlich meist um Armut. Das sind verschiedene Dinge. Sie zeigen aber, wie soziale Positionen durch Medien und Politik ethnisiert werden: Ein ‚Roma-Problem’ wird gemacht. Das ist Rassismus. Dabei geht es darum, Armut zu bekämpfen, Bildung zu fördern, den Arztbesuch zu ermöglichen. Doch in Rumänien sind quasi an allem ‚die Zigeuner’ schuld, die nun als ‚Roma’ den gleichen Beschimpfungen ausgesetzt sind. Als letzte aus der Sklaverei ohne eigene Scholle in eine ungewisse Freiheit entlassen, sind sie die Nachbarn am Rand des Dorfes oder der Stadt. Sie leben oft unter erbärmlichen Verhältnissen. Und oft sind sie es, die ein kleines Feld abernten, dass ihnen nicht gehört. Angesichts von Korruption und Rechtsbeugung durch die Eliten des Landes ist es das Prinzip „Haltet den Dieb!“ Geht es aber einer Roma-Familie wirtschaftlich gut, so gesellt sich der Verdacht unlauteren Erwerbs sofort hinzu.
„Europa erfindet die Zigeuner“ lautet der Titel eines Buches.[1] Die Missachtung der Roma in Rumänien und anderswo ist das Ergebnis dieser Erfindung. Wo wir über soziale Ausgrenzung und die Privilegien der Eliten streiten sollten, reden wir über angebliche kulturelle Verschiedenheit. Lassen uns darüber aus, dass es ‚den Andern’ schlecht, geht, weil sie nicht so funktionieren wie ‚wir’. Kommt es denn darauf an? Menschenrechte stehen jeder Person zu, unabhängig von Geschlecht, Sprache, Herkunft oder Weltanschauungen. Es geht darum, sie durchzusetzen. Da tut sich nicht nur Rumänien schwer. In Deutschland werden die Menschenrechte von Flüchtlingen durch die Residenzpflicht verletzt. In Rumänien verhindert ein gesellschaftliches Klima die vollwertige Anerkennung der Roma als Mitbürger. Sie stehen für das Fremde und sind für die Mehrheitsbevölkerung jene Projektionsfläche, für welche bspw. in Westeuropa EinwanderInnen aus muslimischen Regionen herhalten müssen.
Unumgänglich ist umfassende Toleranz seitens der Mehrheitsgesellschaften gegenüber den an den Rand gedrängten Gruppen, wie eben ‚den Roma’. Sie beginnt in den kleinen Gesten der Gleichbehandlung, beim Grüßen, im Unterricht, im Spital. Aber damit ist’s noch lange nicht getan.
(erstveröffentlicht in der Mecklenburgischen und Pommerschen Kirchenzeitung vom 9.12.2012)
[1] Klaus-Michael Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Berlin 2011
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