Border 04-Projekt, unterwegs in Osteuropa …

Ein Beitrag von Hagen, Hanau: Border 04 ist ein vielgestaltiges Kontakt- und Untersuchungsprojekt, das von Juli bis September 04 vom Balkan bis ins Baltikum entlang der neuen EU-Außengrenzen unterwegs sein wird. In Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen, Medien- und Kulturzentren, sollen die alten und neuen Grenzen des amtlichen Europa erkundet, umrundet und durchlöchert werden. Befindet sich jenseits der politischen Grenzen ein virtuelles Europa? Ein offenes Europa, dem es nicht länger um Ein- oder Ausschluss geht, sondern vielmehr um Kommunikations- und Bewegungsfreiheit?

Warschau: Angeblich lässt sich am alten Stadion, dem riesigen, täglichen Osteuropamarkt der polnischen Hauptstadt, nahezu alles kaufen, u.a. auch gefälschte Reisedokumente. Bei einer kurzen Stipvisite im Sommer letzten Jahres begegneten wir dort vor allem dem unbeschwerten Handel mit allen Varianten der Produktpiraterie, von den aktuellsten DVDs bis zu den modernsten Nike-Turnschuhen. Auffällig waren für uns insbesondere die zahlreichen Stände afrikanischer Verkäufer, die sich damit ihr Überleben organisieren bzw. das Geld verdienen, um den „nächsten Sprung“ zu finanzieren: weiter nach Westeuropa. Wir trafen welche, die hier schon einige Jahre festsaßen, ein anderer war sogar schon kurz in Deutschland, aber dann im Rahmen der sogenannten Sicheren Drittstaatenregelung von den deutschen Behörden nach Polen zurückgeschoben worden. Er wird es wieder versuchen, wie die tausenden von TransitmigrantInnen, die nicht nur in Warschau auf ihre Chance warten …

Ushorod: Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Grenze von der Ukraine nach Ungarn oder in die Slowakei auch deswegen von den ukrainischen Grenzsoldaten so hermetisch abgeriegelt wird, um ihr Einkommen aufzubessern. Denn vom eigentlichen Gehalt läßt sich schlecht leben, die Bestechungsgelder der Schlepper sind ein notwendiger Nebenverdienst. Daran soll, im wahrsten Sinne des Wortes, niemand vorbeikommen. Doch die Verschärfung des Grenzregimes läuft in der Ukraine auf verschiedenen Ebenen. Eine EU-Mitgliedschaft steht zwar in weiter Ferne, doch der Druck der Schengenstandards wirkt bereits. Neue Auffang- und Abschiebelager für Flüchtlinge und MigrantInnen sind in den letzten Jahren nicht nur an den Außengrenzen der neuen Beitrittsländer errichtet worden, von Slowenien über Ungarn bis ins Baltikum. Die Situation in zwei militärisch abgeschirmten Lagern in der Nähe von Mukachevo, etwa 80 Kilometer von Ushorod entfernt, in denen bis zu 1000 Menschen unter übelsten Bedingungen gefangen gehalten werden, spricht Bände …

Arad: Seit vielen Jahren kommen Frauen aus dem rumänischen Arad als Saisonarbeiterinnen nach Deutschland. Sie arbeiten z.B. in der Spargel- oder Erdbeerernte für einen für hiesige Verhältnisse geringen Lohn. Doch zwei Monate dieser Plackerei bringen -auf die rumänische Situation bezogen- weit mehr als einen Jahresverdienst. Wenn er denn gezahlt wird! Im Sommer 2002 wurden 18 Frauen aus Arad von einem Bauern im hessischen Lampertsheim um ihren Lohn betrogen. Doch sie wehrten sich, mit Hilfe einer Unterstützungsinitiative auch juristisch, und konnten vor Gericht ihren Lohnanspruch erfolgreich geltend machen. Die Frauen sind zwischen 40 und 60 Jahre alt und tragen mit ihrer Resolutheit bestimmt nicht dazu bei, das verbreitete Bild der armen ausgebeuteten Opfer zu bestätigen. Gleichwohl war es eher eine Kette von Zufällen zu verdanken, die es den Frauen möglich machte, ihr hart verdientes Geld noch gerichtlich einzuklagen. Im Rahmen eines Videoprojektes haben wir einige der betroffenen Frauen interviewt und auch über ihre Motivationen und Abwägungen befragt, sich auf diese harte Arbeit im Westen einzulassen…

Warschau, Ushorod, Arad …, sicherlich drei der Stationen des für kommenden Sommer in Vorbereitung befindlichen B04-Projektes. Es ist zur Zeit noch offen, in wie weit das Ganze als durchgehende Tour von Slowenien bis Lettland führen wird oder ob bisweilen auch zeitgleich an verschiedenen Orten parallele Initiativen stattfinden werden. Auf der Wegstrecke liegen jedenfalls mit Ungarn, der Slowakei und Polen nicht nur weitere Länder, die ja jetzt seit dem1. Mai offiziell zum EU-und Schengenclub gehören. „Exkurse“ wird es zudem nach Kroatien und Serbien (u.a. zur Ende Juli in Belgrad stattfindenden Konferenz von Peoples Global Action…) geben, oder eben auch nach Rumänien und in die Ukraine. Die konkrete Ausgestaltung von B04 hängt letztlich entscheidend davon ab, in welcher Form Leute und Initiativen vor Ort die Projektidee mitaufgreifen.

In den letzten Jahren haben sich vor allem über das Nobordernetzwerk (www.noborder.org) sowie die auch in Osteuropa organisierten Grenzcamps vielfältige Kontakte entwickelt. Zum zweiten sind es osteuropäische Medieninitiativen, die zunehmendes Interesse signalisieren, und das nicht zufällig.

„Freedom of movement – Freedom of communication“ – bereits im vergangenen Jahr haben wir als „temporäre Assoziation jeder mensch ist ein experte“ versucht, die Verbindung dieser beiden Slogans in den Mittelpunkt von Debatten und Mobilisierungen zu rücken. Und auch das aktuelle Projekt zielt auf eine neue praktische Umsetzung dieser Doppelparole.

Denn wir halten wenig davon, zum 100sten Male die Festung Europa, nun mit ihren erweiterten Festungsmauern, anzuklagen und die neue EU allein als erweiterte Billiglohnzone zu analysieren. Und damit dann wahlweise das Leiden der gestrandeten Flüchtlinge oder der überausgebeuteten ArbeitsmigrantInnen zu bejammern. Tatsache ist doch auch, dass seit vielen Jahren TransitmigrantInnen wie ArbeitsmigrantInnen beständig die Konstruktion von Schengeneuropa und dessen Ausbeutungsgefälle unterminieren und herausfordern. Die Autonomien der Migration konnten und können nicht gebrochen werden. Die sogenannte Osterweiterung kann insofern auch als Reaktion darauf gelesen werden, dass die bisherigen Kontroll- und Steuerungsmechanismen nur unzureichend funktionierten. Und die unmittelbare Einbeziehung in EU- und Schengenstandards wäre als Versuch zu werten, den Durchgriff neu zu organisieren. Ob bzw. inwieweit entsprechende polit-ökonomische Berechnungen aufgehen oder ob sich Arbeits- wie TransitmigrantInnen in den veränderten Konstellationen neue Bewegungsspielräume aneignen können, bleibt jedenfalls eine mehr als offene Frage.

Jedenfalls stellen wir das Projekt in diesen Kontext, eben ein (freilich bescheidener) Versuch, an der weiteren Unterminierung der konstruierten neuen Grenzen Europas mitzuwirken. B04 wird dementsprechend weniger auf spektakuläre Protestformen setzen als auf Kontakte und Untersuchungen auf der Alltagsebene. Geplant sind auch kleinere Versammlungen und Workshops, sowie Präsentationen und Filmvorführungen auf öffentlichen Plätzen.

Warschau, Ushorod, Arad …, zwei thematische Schwerpunkte von B04, die Transit- und die Arbeitsmigration, waren nicht zufällig in den genannten Beispielen angesprochen: die Vorverlagerung des Grenzregimes aber vor allem die Art und Weise, wie (Transit)MigratInnen damit umgehen, sich dennoch in ihren Netzwerken durchschlagen; oder die Ausbeutung der SaisonarbeiterInnen in Niedriglohnsektoren, aber vor allem die Umgangsformen und Erfahrungssuche der osteuropäischen WanderarbeiterInnen.

Erweiterte Ost-West wie auch Ost-Ost-Kontakte, Zugang zu Wissen über Asyl-, Heirats- oder Arbeitsmigration, Austausch über verschiedenste Erfahrungen der Wanderarbeit und ihren Lohn- und Sozialstandards, die Frage der Zirkulation von Kampferfahrungen, der individuellen wie auch der kollektiveren … all das interessiert uns, da haben wir viel zu lernen, gleichzeitig einiges weiterzuvermitteln, eben zu kommunizieren, wenn es uns ernst ist mit Schritten in Richtung einer Globalisierung von unten.

Den Bezug auf Bewegungs- und Kommunikationsfreiheit halten wir in diesem Spannungsfeld jedenfalls für zentral, damit verwoben die Frage nach transnationalen Austausch- und Organisierungsformen. Und das B04-Projekt soll in dieser Richtung als weiterer Katalysator wirken.

Hagen, Hanau

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