Georg Hoprich 29.12.1938 – 9.4.1969
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Wer von der Straße Sibiu/Hermannstadt – Agnita/Agnetheln zum Dorf Daia /Thalheim/Dolmany abbiegt, kann auf einer Gedenktafel an der Vorderfront des ersten Hauses im Ort lesen: Mit Gottes Hilfe hat David Petru dieses Haus im Jahre 1959 gebaut. Ein anderer Sohn des Dorfes hatte um diese Zeit begonnen, Fundamente seines Gebäudes aus deutscher Sprache zu errichten[1], daran erinnert hier nichts, und das Haus seiner Eltern Georg sen. und Sofia Hoprich ziert keine Tafel, ist unter der angegebenen Nummer 103[2] vielmehr überhaupt nicht zu finden. Vor Jahrzehnten wurde die Zählung verändert.
Der Bauernsohn Georg Hoprich studierte nach dem Hermannstädter Abitur Germanistik in Bukarest. Im Studentenheim begann er zu schreiben. Kommilitonen liest er seine Gedichte vor, sie hören zu und diskutieren miteinander. Hoprich fragt nach der Tiefe von Zusammenhängen und nach dem Zusammenhang der Gegenwart mit vorigen Zeiten. Seine eigene Zeit ist Stalins Zeit auch nach dessen Tod. Alle diese Strömungen kommen aus Hoprichs Perspektive zusammen in seinem Dorf.
„Hinterm Strauch begann die Sprache, / und wir redeten vom Fernen,“ heißt es 1959 in dem Gedicht „Thalheim“[3]. Über die Heimkehr der deportierten Siebenbürger Sachsen schreibt er: „Ihr schuldet keiner Ferne eure Ferne/ Und keinem Weltgesetz das Andersschreiten“ (1964). Seiner Mutter gehört seine Zuneigung; denn nur sie erkennt in dem immer Fröhlichen „den bleichen Sohn“ (1960). Er reflektiert Weltgeschichte, als russische Soldaten 1944 ins Dorf kommen: „Meine Mutter gab ihnen Wasser, ich erhielt ein rotes Band/ Und verlor die Furcht vor Mitja./[4] (…) Es kaufte mein Vater, der hinkende Mann,/ Sich einen Holzfuß. Dann und wann/ War in der Suppe auch Fleisch“ (1965). In dieser“ Erinnerung I/II/III“ benennt er auch konkret eigene Schuld.
1960 fordert ein rumänischer Studienfreund per Postkarte zum bewaffneten Kampf gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft auf. Der unbeteiligte Hoprich wird in die Untersuchung der Angelegenheit hineingezogen und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Als corpus delicti soll nach Meinung von Experten haben herhalten müssen das Gedicht „Wir sind ein bleiches Volk“, in dem Hoprich seine Skepsis über die Zukunft der Siebenbürger Sachsen in Rumänien ausdrückt[5].
Nach der Haft hatte sich seine Schwermut verstärkt. Seit 1964 wirkte er vor allem als Schulsekretär in Cisnadie/Heltau, wo er mit seiner Familie lebte. Auch Liebe und Ehe konnten ihn nicht auf Dauer ins Freie führen. Am 9.4. 1969 erhängte er sich in Heltau und fand seine letzte Ruhestätte in Thalheim. Verschlüsselt als Paraphrase einer volkstümlichen Ballade von Viktor Kästner (1826-1857) über eine Braut, die am Flusse Alt um ihren ertrunkenen Liebsten trauert, hat Joachim Wittstock dieses Schicksal 1988 im „Monolog des Fremden am Fluß, nachdem die Braut sich entfernt hatte“ aus seinem Band „Morgenzug. Vergegenwärtigungen, Überlegungen“ (Cluj-Napoca: Dacia-Verlag, S. 119-121) aufgehoben. Dort heißt es: „Nach langer Abwesenheit kam der Verlobte heim, gleichsam vom Grund des Flusses, aus den Wellen, die ihn mitgerissen hatten, und alles schien gut zu werden. Er fand Arbeit, wenn auch seinen Erwartungen nicht ganz entsprechend, sie heirateten, zwei Kinder wurden geboren. Meine Zurückhaltung blieb, nun nicht mehr aus Angst, eher aus Gleichgültigkeit; außerdem verlor ich sie aus den Augen, da ich in eine andere Ortschaft verzog. So wußte ich nicht viel von ihren Sorgen und Nöten,von der Krankheit und vom Tod des einen Sohnes, von den Zwistigkeiten der Eheleute, wußte nichts von ihren Ausweglosigkeiten. An einem Frühjahrstag, im April, kam der einst langerwartete Bräutigam um. Nein, er sank nicht in den Strom zurück, der ihm fast zum Verhängnis geworden war, er starb anders, in jenem Städtchen unter dem Gebirge legte er Hand an sich, er achtete seines Lebens nicht. Jahre vergingen. Von jener Braut am Flußufer habe ich kaum mehr vernommen.“
Vierzehn Jahre nach dem Tod des Dichters gab Stefan Sienerth die Gedichte aus dem Nachlaß heraus. Vorwort und Anmerkungen des Germanisten zur Textgestaltung und Biografie sind ein unentbehrliches Hilfsmittel zum Verstehen. Sie lassen auch bereits damals 1983 Hoprichs verlorene Zeit begreifen.
Das Jahr 2010 könnte vielleicht das Jahr des Wiederfindens sein. Am 30.4. nämlich erinnerte der Hermannstädter Literaturkreis an den Dichter. Gerhard Konnert, emeritierter Germanist an der Lucian-Blaga-Universität, interpretierte Gedichte Hoprichs[6]. Nach langer Zeit füllte ihr Klang wieder einen Raum.
Als ich am 14.10. 2010 das erste Mal in Daia haltmache, findet mein Gedenken auf dem Kirchhof statt. Ich bin froh, daß wir das Grab nach einiger Suche gefunden haben. Der dunkle Stein trägt unter geborstenem Glas ein Foto von Hoprich, „Professor und Dichter der deutschen Sprache“, wie es dort heißt. Die Eltern haben die Grabverse ihres Sohnes von 1964 in den Stein meißeln lassen. „Aus Stillsein ging die Flamme auf, / Die Wirrnis wurde Lebenslauf, / Der Irrtum leitete das Spiel, / der Tod war das geschmückte Ziel.“ Wir verhalten still.
Am 22.10. suche ich im Dorf nach dem Geburtshaus von Daias Dichter. Es finden sich keine positiven Auskünfte. Das ist vierzig Jahre her, in denen Geschichte mehrfach auch durch dieses Dorf gestürmt und gekrochen ist. Wer muß da noch etwas wissen vom Herkommen und Haus der Ausgewanderten!
Am 16. November 2010 ist der unbekannte, verschollene und vergessene Dichter plötzlich auf allen Kulturseiten der deutschen Presse präsent und alsbald ebenso in den Medien der Siebenbürger Sachsen – sein Name, nicht sein Werk. Durch ein Gerücht gerät der Thalheimer in einen Bezug zur Securitate-Connection von Oskar Pastior, ohne selbst darin verstrickt zu sein[7] .Was immer noch Forscher lesen werden an Unerwartetem und Bitteren, lesen wir selbst am besten seine Gedichte sorgfältig und erst recht! Dafür könnte Sienerths Sammlung ein zweites Mal publiziert oder sogar von ihm überarbeitet und neu herausgebracht werden. Ein Verschwundener soll wiedergefunden werden. In Thalheim selbst gibt es einen aktiven flämischen Kulturmanager[8] und das Kinderheim „Papageno“ im Pfarrhof von einst, der sagenhaft zu Füßen von Hoprichs Grab liegt. Von Hermannstadt bis Rosia/Rothberg leben die Literaten, die im Frühjahr den Anstoß zum Wiederauffinden des Dichters gaben – zusammen mit interessierten Dorfbewohnern womöglich alles Kräfte für Daias bleichen Sohn, die auch Nachkommen Hoprichs (be)suchen sollten. Lesungen vor Ort sind vorstellbar und eine Gedenktafel am Haus, wenn es denn laut Grundbuch und Zeitzeugen gefunden sein wird. Dabei geht es nicht zuerst um die Größe eines Werkes[9], sondern um die unseres Vergessens und die Würde unseres Dichters. Ein vielstimmiger Chor und eine Gemeinschaft über gepflegten Ethnozentrismus hinaus,die Zukunft will und lebt, kann heute Schweigen und Zukunftsangst aufheben, an denen Georg Hoprich zu tragen hatte:
Schweigen
Wir schweigen, was wir nicht vergessen.
Der Becher steht gefüllt mit Leid.
Wir stehen starr, wenn andre essen.
Wir sind entfernt und ausgereiht.
Der Nächste schleppt sich wie gebrochen.
Wir sind ein Weh, das bitter haucht.
Wir haben immer stumm gesprochen.
Die wirre Nacht ist nicht verraucht.
Das graue Dasein, das wir führen,
bleibt schwer wie Erde, dumpfe Welt.
Wir sind ein blasses Volk. Wir ernten
die Tränen von dem Bitterfeld.
(Zitiert nach Hans Bergel, Existenzgeißel Securitate, „Thilo“ Hoprich und Oskar Pastior. Erstellt am 27.11.2010 von Schlesak: http://de.paperblog.com/aus-hans-bergel-existenzgeissel-securitate-thilo-hoprich-und-oskar-pastior-63325)
Wer sich nach alledem und mehr des Ortes vergewissern und dessen transilvanisches Fascinosum erkunden will, wird sich z.B. im Sommer 2011 auf den Weg dorthin in Richtung Agnetheln ab dem Thalheimer Hügel zu Beginn einer sechs Kilometer langen Strecke mit den Tücken der unorthodoxen Trassensanierung durch die Straßenbaufirmen arrangieren müssen. Er wird aber alsbald ins Dorf abbiegen können und David Petrus Haus passieren, um dahinter die kleine Anhöhe hochzufahren, wo Gäste im Gehöft Nr. 201 linkerhand neben dem heutigen Kinderheim „Papageno“ freundlich und sprachkundig empfangen werden[10].
Jens Langer, Rostock
(aktualisierte Fassung des am 11.3.2011 hier veröffentlichten Textes)
[1] Zu Werk und Biografie Ingmar Brantsch, Hoprich, Georg. Ostdeutschebiografie: www.ostdeutsche-biographie.de/hoprge08.htm – aufgesucht 4.7.2010 11.13 Uhr; speziell zur Observation, Verhaftung und Straflager Stefan Sienerth, „Die Wirrnis wurde Lebenslauf“. Zur Securitate-Akte des Dichters Georg Hoprich: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas Heft 3/ 2011, S. 231-263 ( mit Familienfotos und der Wiedergabe eines Hoprich-Gemäldes von Roswith Capesius aus der Zeit 1959/60).
[2] Dem Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien zu Sibiu/ Hermannstadt und stud.phil. Paul Jeute sei gedankt für die Recherche.
[3] Alle Texte aus Georg Hoprich, Gedichte. Aus dem Nachlaß hgg. von Stefan Sienerth, Kriterion-Verlag: Bukarest 1983. 169 S. Seit 25. November 2011 gibt es eine neue Edition: Georg Hoprich, Bäuchlings legt sich der Himmel. Gedichte, Reinicke & Voß, Leipzig 2011. Vgl. Jens Langer, Hoprich redivivus: ADZ, 16.12.2011; Ingmar Brantsch, Ein regionales Dichterschicksal aus Siebenbürgen aus gesamtdeutscher Sicht: online unter www.adz.ro/karpatenrundschau/artikel-karpatenrundschau/artikel/ein-regionales-dichterschicksal-aus-siebenbuergen-aus-gesamtdeutscher-sicht/, abgerufen am 19.2.2012
[4] Vgl. Rainer Biemel, Mein Freund Wassja (1949), worin Hoprichs älterer Landsmann unter einem solchen Titel über die Deportation der Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion berichtet.
[5] Brantsch, ebd., der auf Peter Motzan/Stefan Sienerth (Hgg.) Worte als Gefahr und Gefährdung.Fünf deutsche Schriftsteller vor Gericht (15. September 1959 – Kronstadt/Rumänien), München 1993, S. 213 verweist, wo Harald Siegmund von einem Gespräch mit Hoprich in der Haft berichtet, in welchem dieser seinen Haftgrund benennt, ohne den Titel des Gedichts anzugeben. Zu Titel- und Textvarianten gegenüber Brantschs Angaben s. auch die am Ende dieses Beitrags abgedruckte Fassung.
[6] h(olger) w(ermke), Literaturkreis mit Schlattner: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ) 24.4.2010; ders., Zerbrochen an der Hafterfahrung. Literaturkreistreffen über das Leben und Werk von Georg Hoprich: ADZ 5.5.2010; zur literarischen Präsenz des Kreises in der Vergangenheit s. Joachim Wittstock, Hermannstädter Leserunden. Deutsche Literaturkreise in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: ders., Einen Halt suchen. Essays, Hermannstadt/Sibiu 2009, S. 258-283 (mit Anhang „Schriftsteller in Hermannstadt/Sibiu“, S. 283-289). Hier sei auch an das Schicksal des jüngeren Banaters Franz Grass (1953-1975) erinnert, wie es geschieht durch Horst Samson, An einen toten Dichter. in memoriam Franz Grass: ders., Und wenn du willst, vergiss.Gedichte, Ludwigsburg 2010, S. 39; vgl. William Totok, Pietätlosigkeit der Securitate-Mitarbeiter: http://halbjahresschrift.blogspot.com /2010/01.
[7] Dieter Schlesak, Die Schule der der Schizophrenie: FAZ 16.11.2010; einen Monat zuvor hatte Konrad Klein: „Ich kann eher etwas aushalten, als andere zu verraten.“ Grete Loew, eine Frau, die sich nicht brechen ließ: Siebenbürgische Zeitung (SbZ) 15.10.2010 unter Verweis auf Südostdeutsche Vierteljahresblätter 1/1990, S.13-14 davon berichtet, daß der Schriftsteller Hans Bergel Akten über Hoprich besitze; er „mied aber aus verständlichen Gründen, sie mit dem Namen Pastiors in Verbindung zu bringen (…).“ Vgl. ferner Dieter Schlesak, zur Klarstellung. Dieter Schlesak wollte Oskar Pastior nicht die Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich geben: SbZ online 11.12.2010. Ohne auf weitere Klarstellungen, Darstellungen, Gegendarstellungen und Relativierungen im labyrinthischen Schlachtfeld um Pastior weiter einzugehen, sei auf die Vorgeschichte der causa hingewiesen bei Stefan Sienerth, „Ich habe Angst vor unerfundenen Geschichten.“ Zur „Securitate“-Akte Oskar Pastiors: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas 5 (59), Heft 3/2010, S. 236-271; zur Bedeutung von Aufklärung im siebenbürgischen Umfeld Hannelore Baier, Notwendigkeit der Aufarbeitung. Anmerkungen zu der Tagung „Die Securitate in Siebenbürgen“ in Jena (I) : ADZ 5.10.2010; dies., Blick in den zerbrochenen Spiegel. Anmerkungen zu der Tagung „Die Securitate in Siebenbürgen“ in Jena (II): ADZ 6.10.2010.
[8] Vgl. Beatrice Ungar, Rembrandt-Bilder in der Scheune. Zweite Transylvania Heritage Summer University am Flandernhof in Thalheim: Hermannstädter Zeitung (HZ) 6.8.2010. Vgl. auch h(olger) w(ermke), Der Name verbindet. Internationales T(a)lheimer Treffen fand zum ersten Mal in Siebenbürgen statt: ADZ 8.6.2011: „Mit Blasmusik, rumänischer Folklore und Georg-Hoprich-Gedichten empfingen die Gastgeber am Samstag die Gäste aus 14 T(h)alheims.“
[9] Regionale Literaturen werden inmitten der Globalisierung immer wichtiger, Lokales und Globales müssen „glokal“ zusammenkommen – vgl. Werner Wintersteiner, Poetik der Verschiedenheit. Literatur, Bildung, Globalisierung, Klagenfurt 2006; Jens Langer, Die uns angebotene Welt glokal: Orientierung (Zürich) 73. 2009, Nr. 19/ 15.10. 2009.
[10] Interessierte erhalten am Schluß auch ein Blatt mit Adressen und der Geschichte Thalheims, die um das kurze Leben Hoprichs erweitert werden könnte, und einen Flyer zu „Steps of Hope“, dem Förderverein des Kinderheimes.
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