Ich bin in Alzen gewesen. Das Schild am Ortseingang sagt mir Altîna, sagt weniger Willkommen! als wo ich bin. Die Häuser an der Straße stehen stumm und sagen Sachsenland, Altes Land – schau, wo du bist. Die Kirche, die der Protestanten, thront über ihrer eigenen Geschichte: Früher ein typisches Sachsendorf, heute rumänische Sprache und neue Mehrheiten. Rechterhand an einem Hang, als hätte jemand mit der Hand etwas zur Seite geschoben, liegt Klein-Berlin. Eine Zigeunersiedlung, so höre ich. Welche Zunge ihr diesen Namen verlieh, erfahre ich nicht, genauso wenig, welche Idee sich mit der Taufe verband. Das verfallene Bürgermeisteramt – einst ein k.u.k.-Prachtbau, wird erzählt – in der Mitte Alzens ist verschwunden, und so ist, von Hermannstadt kommend, der Blick frei: halb durch den Ort hindurch, halb über ihn hinweg.
Alzen zählt an die siebzig sächsischen Seelen. Die jüngste, Rosi Müller, wäre andernorts bereits Großmutter – so sagt sie selbst. Sie ist für die evangelische Gemeinde mindest ebenso aktiv wie für die deutschsprachige Klasse der Alzener Grundschule. Eine Schule, die einst für mehr als die heute achtzig Schülerinnen und Schüler erbaut wurde. Eine Schule, die nicht über einen eigenen Brunnen verfügt. Aber eine Wasserleitung – mit PHARE-Geldern subventioniert – liegt bereits im Haus und soll demnächst fertiggestellt werden.
Die Kinder begrüßen ihren Gast mit einem Lied. Sein Name paßt gerade in den Ablauf des zu lernenden Alphabets. Zehn Schülerinnen und Schüler sitzen in der deutschsprachigen Klasse. Auch wenn nur eine von ihnen daheim sächsisch spricht, mag das bei einem so flüchtigen Besuch nicht auffallen. Als sei es eine Geschichte in ihrer rumänischen Muttersprache, so verfolgen die Kleinen die von der Lehrerin auf deutsch vorgetragene Geschichte von einer Bäuerin und ihrem Glauben, der sie vor räuberischen Soldaten rettet. Von klein auf an neben rumänisch die deutsche Sprache im Kindergarten, später dann in der Schule – für alle Beteiligten verbinden sich damit Fragen. Für die Lehrerin, die Deutschsprachigen und das Forum die nach der Zukunft ihrer Sprache und Identität. Für die rumänischen Eltern solche nach erhofftem sozialen Aufstieg ihrer Kleinen und wo ihnen Deutsch zu diesem verhelfen soll. Die Kinder selbst werden sich einmal fragen, welche Elemente sie außer diesem vielleicht nützlichen noch von der sächsischen Kultur verinnerlichen wollen.
Vor Jahresfrist kam das Spendenangebot eines Alzen freundschaftlich verbundenen Deutschen. Wo braucht es das Geld am dringendsten? Rosi Müller zählt auf: Erst wurde an einen Computer gedacht, doch bald landeten die Lehrerinnen bei einer Zentralheizung. Wozu einen dieserorts wie außerirdisch anmutenden Computer, wenn nur ein Teil der Kinder über Hefte und Stifte verfügt? Die angebotene Hilfe für die Kinder der deutschen Klasse allein zu verwenden, das kam für Rosi Müller nicht in Frage. Wenn, dann etwas für die ganze Schule!, sagt sie, holt weit aus und beginnt zu berichten. Daß der Vertreter einer in Deutschland beheimateten Firma erst das gesamte Schulgebäude ausmaß, der Preis wohl gut gemeint, dennoch horrend war und Frau Müller weiche Knie bescherte. Daß der Herr dann nochmals kam, um nur die benutzten Räume zu vermessen – auf die Flure und leeren Zimmer verzichtend. Daß sie jetzt warten, was für ein Preis dabei herauskommt. Daß sich hoffentlich noch welche finden, der Alzener Grundschule bei diesem Plan zu helfen.
Wo sind die anderen Sachsen Alzens geblieben? Müßige Frage – und die Gebliebenen bewirtschaften oft mehrere Höfe. Versorgen die Kinder im Sommer, lassen sich Nachrichten von den Schwalben (O-Ton Müller) überbringen und bleiben. Nicht quält euch länger, setzt euch zur Ruhe! sagen die Gegangenen.
Regenwolken hängen über Alzen. Nach langer Trockenheit wartet alles auf einen Regen und das Heu muß schleunigst herein. Die Einfahrt zum Hof hat sich abgesenkt, seit auch dieser Hof nicht mehr bewohnt, lediglich bewirtschaftet wird. Der Traktor samt Anhänger kämpft sich mühselig den Weg herauf und wird dann durch das enge Tor gezirkelt. Ein Traktor: sein Besitzer ist zu beneiden! Der letzte Halm ist nicht vom Wagen, als es zu regnen beginnt. Kein Guß, ein kurzer Regen nur: fürs Heu wäre es zuviel, für den Garten zuwenig. Über dem Scheunentor zeugt ein Spruch von dörflicher Weisheit anno 1902: Die Leute sagen immer, die Zeiten werden schlimmer. Die Zeiten bleiben immer, die Leute werden schlimmer.
Für ein Essen ist dennoch die rechte Zeit. Genauso für das Glas Wein dazu und die Erzählungen davon, wie es war und wie es ist. Wie es sein wird? Hinter diesem Fragezeichen stehen die Häuser Alzens mit seinen alten und neuen Bewohnern. Das sich noch ordnende Miteinander in dem binnen eines Jahrzehnts verwandelten Ort. Mit einer Schule, die im Dorfe bleibt, damit das Erlernte später auch hier genutzt werden kann. Ein freier Blick: halb nach Alzen hinein, halb über die Hügel hinweg.
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